Eintrag vom:  04.11.2020

Ein Beitrag zum 2. Lockdown der Kultur

Aus der Kolumne "Hinter den Kulissen" des Reutlinger Generalanzeigers vom 31.10.2020

Zur erneuten Verzichtbarkeit der Kultur
Hinter den Kulissen des franz.K und davor waltet nun wieder - und mehr noch als im März vornehmlich eins: Düsternis.
Klar, eine Pandemie ist eine düstere Sache und Covid 19 ist keine Einbildung und kein Fake, sondern eine reale Bedrohung mindestens für die gesundheitlich und sozial besonders Verletzlichen - und das sind allein in diesem Land Millionen, die unser aller Solidarität brauchen.


 


 


Trotz allem Düsteren waren in den letzten Monaten - nicht nur wegen zwischenzeitlich niedriger Infektionszahlen - auch einige Silberstreifen am Horizont: Kunst, Kultur und öffentliche Diskussion sind auch unter Covid 19 möglich, mit ausgefeiltem Hygienekonzept, mit in gebührendem Abstand platzierten Besuchern, mit Lüftung auf Volllast für z.B. im franz.K statt bis zu 600 nur für 78 Gäste und und und. Nun wieder allein Düsternis. Das ist frustrierend und treibt die ganze Kultur in eine Zerreißprobe, die für nicht wenige gerade unter den Solo-Künstlern und den kleinen Clubs und all den mit der Kultur verbundenen Selbständigen in Agonie überzugehen droht. Für das franz.K und andere bezuschusste Häuser ist das Schlimmste vielleicht nichtmal die erneute Schließung, auch wenn sie angesichts dessen, dass es in Kulturhäusern bei all den getroffenen Vorkehrungen bisher zu keinerlei Infektionsclustern gekommen ist, den Infektionsschutz nicht besonders nach vorn zu bringen verspricht. Schlimmer ist der Kontext und die Botschaft zwischen den Zeilen. „Theater und ähnliche Einrichtungen“ werden in den behördlichen Erlassen in einem Atemzug mit Spielhallen und Bordellen genannt und als „Freizeiteinrichtungen“ bezeichnet. Kultur kann so viel mehr sein als Zerstreuung, sie ist vielleicht in keinem anderen Moment so wertvoll wie jetzt: Zur Reflektion, zur Kommunikation über die wichtigen Fragen der Gesellschaft und des Lebens, fürs Zusammengehörigkeitsgefühl, zum Einüben kritischer Vernunft. Sie im Krisenfall als quasi am leichtesten verzichtbar zu markieren, verkennt nicht nur ihre Potentiale, sondern bereitet den Kräften Vorschub, die sie auch im Alltag degradieren wollen zum gängel- und verzichtbaren Zeitvertreib, zur Zier je nach Haushaltslage oder gar zum plumpen Ideologie-Spreader. Ebenso fatal wie bezeichnend ist für Kulturleute auch die oft wiederholte Behauptung, man wolle eben alles dafür tun, die Wirtschaft laufen lassen. Als wäre der Kultursektor nicht mittlerweile ein auch zahlenmäßig enormer Wirtschaftszweig und als würden die dort Arbeitenden nicht den selben Schutz verdienen vor Ausgrenzung und sozialer Not wie diejenigen, die sagen wir in einem Möbel- oder Schmuckgeschäft oder in der Autoindustrie arbeiten. Vom Infektionsschutz dort mal ganz abgesehen. Die Schäden durch diese Symboliken, die in den derzeitigen Maßnahmen an vielen Stellen wirken, können wir heute noch nicht abschätzen, werden mit ihnen aber, je länger dies alles geht, sicherlich zu kämpfen haben. Hoffen wir, dass die versprochenen Rettungsschirme wenigstens die retten, die es am Nötigsten haben und dass die verordneten Maßnahmen wenigstens in ihrer Gesamtheit die Infektionswelle bremsen.